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DIE KARDINÄLIN

Posted on 20. Mai 201022. April 2018 by admin

DIE KARDINÄLIN – EINE OHNMACHT

Stück für Bühne und ein abgestelltes Subjekt
von Peter Wagner

Uraufführung
Premiere 11. Mai 2010 20Uhr

in Zusammenarbeit mit dem Offenen Haus Oberwart
weitere Vorstellungen: 12., 13., 14. Mai, 20.00 Uhr
Theater Halle 11
Messeplatz 1
9021 Klagenfurt

Vorstellungen Offenes Haus Oberwart:
27., 28., 29., 30. Mai 2010, 20.30 Uhr

Vorstellungen 3raum Wien:
8., 9., 10., 12. Juni 2010

Regie: Peter Wagner

die Kardinälin: Heinrich Baumgartner

kardinaelin02Noch jemand: Erich Pacher

Fotos: Günter Jagoutz

Rezensionen

Bejubelte ke-Uraufführung: „Die Kardinälin. Eine Ohnmacht“

Salz in Wunden streuen

Das Kardinalsrot hat sich zu einem Meer aus Seide verdichtet, das die Bühne unter sich begräbt. Die schwarzen, glänzenden Schuhe, die an seinem Ufer stehen, bemerkt man kaum. Es sind die Schuhe eines verbitterten, alten Mannes, der über seine Schuld den Mantel des Schweigens breitet und im Schwemmland der Seele mit sich kämpft. Die Absolution für seine sexuellen Übergriffe erteilte auch Regisseur Peter Wagner nicht, der für das klagenfurter ensemble (ke) Dienstag zur Uraufführung „Die Kardinälin“ vivisezierte.
Der Fall Groer stand Pate für das 2005 entstandene Stück des burgenländischen Autors, Verlegers und Regisseurs, der sich mit dem Monolog eines krankhaften Geistes tief in den fauligen Morast eines kirchlichen Machtmenschen begibt. Dieser stellt mit glühender Verachtung sich selbst als Teil einer nur allzu menschlichen Institution an den Pranger, in der eine intrigante Neidgesellschaft mit Vertretern der Mittelmäßigkeit regiert, „die dir sogar den Glanz deiner Schuhe neiden.“
Wagners dichtes, philosophisch unterfüttertes und bis an die Grenze des Erträglichen intensives „Zwiegespräch“ eines Knabenschänders ausschließlich als einseitigen Rundumschlag gegen eine verkommene Kirche zu verstehen, sollte man tunlichst unterlassen. Denn auch wenn da absolute Reizthemen wie Frauenverachtung und Missbrauch schonungslos an- und ausgesprochen werden, so ist es doch immer „nur“ die fiktive (?) Projektion eines Menschen zwischen Schuld und Sühne, der sich in der Gnade Gottes wiegt und von seiner „Muttermacht Kirche“ und dem „perfekten Showman Ratzinger“ verraten fühlt – als eines seiner Missbrauchsopfer DEN österreichischen Kirchenskandal nach 1945 auslöst. Sich im Recht zu glauben, ohne ihm Recht zu sein: Diese Diskrepanz ist die Projektionsfläche, an der sich „die Kardinälin“ Heinrich Baumgartner reibt: Jeder noch so kleine Blick, jede noch so unbedeutende Geste ist da ein in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk, das brennender Wut, tollwütigem Hass, geifernder Geilheit, triefendem Selbstmitleid und ratloser Resignation Haut, Fleisch und Sehnen „überzieht“ und mit monströser Verblendung beseelt.
Ergänzt von Erich Pacher, der als Randfigur den androgynen Lustknaben wieder Willen perfekt personifiziert, 70 Minuten, die Salz in (Kirchen)Wunden streuen, die vielleicht ja doch einmal heilen, wenn man sie nicht mehr totschweigt …

Irina Lino, Kronen-Zeitung, 13.5.2010

Gespenstisches Bild eines Ungeheuers

Uraufführung von Peter Wagners „Die Kardinälin“ beim klagenfurter ensemble: höchst stimmige Leistungen. Ein Stück über ein degoutantes Selbstbild: zum Grausen gut geschrieben, gut gemacht und gut gespielt.
Eine Welle aus Purpur ist die Bühne: Abgeschirmt oder in Einzelhaft, je nach Standpunkt, sitzt dahinter einer, der von Mandelpudding träumt, sich über den Glanz seiner Schuhe definiert und in einem halb inneren, halb äußeren Monolog in allen Hirnwindungen nach Rechtfertigung sucht: Warum er sich denn nicht rechtfertigen müsse! Streckenweise wird einem übel ob der Ungeheuerlichkeiten, die zu hören sind: Da spricht ein Versteckter, der durch Liveübertragung auf der Videowall Macht und Ohnmacht demonstriert, in gefinkeltzer Rhetorik seinen Sonderstatus poliert, ein grässliches Frauenbild innerhalb der Kirche zeichnet und nach unschuldigen Kinderaugen und Popos von Knaben lechzt, weil sie ja nicht die Hurenwelt wären … Ein starrsinniger, unbelehrbarer Selbstherrlicher, der sich als Mutter Kirche sieht, stolz ist, „Kardinälin“ gerufen zu werden, und Gott in Kumpanei nimmt: „Er schweigt – und ich schweige!“ Peter Wagner bietet einen Text an, der ihn als präzisen Profiler ausweist: Er lässt den Kardinal ein Bild von sich selbst zeichnen, aus dem es aus jeder Ritze zwischen Grau und Schwarz quillt. Da bleibt der Kindesmissbrauch „nur“ Anlass zum Lamento: Nie geht es um Opfer. Und die hätten, wäre eines anwesend, noch schwerer an der Selbstsicht dieses Kirchenmannes zu tragen, als bei der Opfer-Täter-Begegnung in Felix Mitteres „Beichte“. Peter Wagner liefert einen minutiösen Text, eine gekonnte Inszenierung; Heinrich Baumgartner als „Karidnälin“ (im punktgenauen Spiel mit dem Licht) ein Porträt, das in die letzte Pore schauen lässt. Erich Pacher gibt eine stellvertretende Reaktion, die der Zuschauer braucht. Wer sich immer schon fragte, was in einem Ungeheuer vor sich geht, muss einfach hin …

Maja Schlatte, Kärntner Tageszeitung, 13. Mai 2010

Verführung im Schatten

Ein Abend in Kardinalsrot: das klagenfurter ensemble brachte Peter Wagner Theatermonolog „Die Kardinälin“ zur Uraufführung.
Nach dem Tod von Kardinal Hans Hermann Groer 2003 bat Kardinal König darum, „davon Abstand zu nehmen, die Wunden der Vergangenheit aufzureißen“. Er vertraute darauf, dass die Forschung imstande sein werde, „Licht und Schatten deutlicher zu benennen“.
In Klagenfurt versucht nun nicht die Forschung, sondern die Kunst, Licht in die Affaire Groer zu bringen, die zur bislang größten Krise der Katholischen Kirche in Österreich geführt hat. Am Dienstag wurdem vom klagenfurter ensemble Peter Wagners „Die Kardinälin – Eine Ohnmacht“ aus der Taufe gehoben. Und sie führt vor allem in den Schatten.
Das suggeriert schon sehr geschickt die Bühnenarchitektur: „Die Kardinälin“ (Heinrich Baumgartner), an den Rollstuhl gefesselt und in ein Kloster abgeschoben, wird, verborgen hinter einem kardinalsroten Vorhang, für das Publikum nur über einen Monitor und das Schattenbild sichtbar. Die Fäden ziehen längst andere – symbolisiert durch ein „Subjekt“ am Regiepult (Erich Pacher), das gleichzeitig Stichwortgeber, Opfer und Öffentlichkeit ist. Allesamt Funktionen, denen „Die Kardinälin“ – das war schon seit Spitzname während der Zöglingszeit – unberührt gegenübersteht. Denn er sieht sich als das eigentliche Opfer: „Wir haben unserem geliebten Gott gehuldigt. In höchster Liebe.“
Peter Wagner polemisiert nicht und er polarisiert nicht. Weder in seinem Text noch in seiner Regie. Ihm geht es nicht um Anklage, ihm geht es um das Verstehen. Und dort liegt letztlich das Problem, das auch Peter Wagner nicht lösen kann: Der geschickt gebaute Theatermonolog, die kluge Regie und der mimisch und gestisch grandiose Heinrich Baumgartner, der sich dem Text ganz aussetzt, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass versucht wird, einen Mann zu verstehen, der letztlich nicht verstanden werden kann. Und dessen Schicksal deshalb nicht wirklich berührt. Das ist eigentlich gut so. Nur nicht unbedingt für das Stück.

Marianne Fischer, Kleine Zeitung, 13. Mai 2010

So erklärte der Papst vor Zehntausenden Menschen, der Glaube verleihe den Mut, sich „nicht von dem kleinlichen Klatsch der vorherrschenden Meinung einschüchtern zu lassen“. Zudem sprach das Oberhaupt der Katholischen Kirche davon, wie Menschen manchmal „auf die niedrigsten, vulgärsten Ebenen“ herabfallen könnten.

ORF.at, 28. März 2010

Die Kardinälin sitzt im Rollstuhl. Sie ist ein Mann, der es innerhalb der kirchlichen Hierarchien bis zur Erhebung in den Kardinalstand gebracht hat. Lange davor hatte er von seinen Zöglingen im Seminar den Beinamen Die Kardinälin erhalten.

„Das Gehen und das Knirschen der Schuhe. Wie bei der Schwester Oberin, die fast die gleichen Schuhe hatte wie ich. Und doch ganz anders. Ich war nicht die Schwester Oberin, ich war die Kardinälin! Das war allerdings ein Unterschied, man konnte es am Knirschen unserer Schuhe ausmachen. (…) Kchch … kchch … kchch … kchch … Die Gänge der Schule waren wie automatisch leergefegt, schon wenn sich mein Kommen auch nur ankündigte. Kchch … kchch … kchch … kchch … die Kardinälin, überall hörte man das Flüstern, die Kardinälin! ….“

Nun aber ist er innerhalb der Kirchenhierarchie in Ungnade gefallen, nicht einmal Ratzinger scheint noch hinter ihm zu stehen, obwohl er sich lange unter dessen schützender Hand wähnen durfte. St. Pölten kann ihm auch nicht helfen und der neue Erzbischof von Wien, sein direkter Nachfolger, hat ihn nach zunehmendem öffentlichen Druck aus dem Verkehr ziehen lassen. Unter der Obhut einer Ordensschwester verbringt er die Tage in irgendeinem fernen Kloster, gefangen im Rollstuhl, der sich in keine Richtung mehr bewegt, dem Windhauch durch das geöffnete Fensters ausgesetzt, der neben der Gefahr für seine Gesundheit jede Menge unaufgearbeiteter Erinnerung daherweht.

„Es zieht, machen Sie das Fenster zu! Wenn man mich hier schon einsperrt wie einen entmündigten Idioten, so gönne man mir wenigstens das Privileg einer geschlossenen Zelle. Ich brauche keine frische Luft. Frische Luft ist schädlich für das Nervensystem. Ich hasse unkontrollierte Bewegung.“

Hier, alleine mit sich und wohl auch im Angesicht des Todes, strömt die Erinnerung beinahe körperlich durch seine im Rollstuhl gefangene Existenz. Immer wieder versucht er die direkte Ansprache an Gott, in dessen Gnade er sich weiß, wissen will. Und doch ist dieses Wissen durchspickt von Zweifel.

„Herr, ich bin der in den Staub geworfene Wurm! Ich bin nichts. Gezeugt in der Sünde, geboren in der Sünde. Zeitlebens habe ich Dich zu den Menschen gebracht. Habe ich die Menschen zu Dir gebracht. Du allein weißt um mein Opfer. Du allein wirst es erkennen. Du allein!“

Ohne dass er dies zugeben würde – denn tatsächlich befindet er sich in steter, aggressiver Selbstverteidigung -, scheint ihn die öffentliche Erregung zu beschäftigen, die sein angeblicher Fall verursacht hat und der seitdem wie ein Damoklesschwert nicht nur über ihm, sondern über der Mutter Kirche hängt. Einer Mutter, als deren eigentlicher und letzter aufrechter Repräsentant er sich selbst fühlt und erlebt.

„Sexueller Missbrauch. Krankhafte Schlagwörter. Die schlagen sollen. Dass ich nicht lache! So sehen sie aus, ihre gedanklichen Bollwerke. Ihre verbalen Waffenarsenale. Sie glauben allen Ernstes, sie könnten mir damit Schaden zufügen! Alles giert nach einem Schlagwort wie Sexueller Missbrauch. Geistlose Diktion, fern auch nur der geringsten Wahrheit, pfui Teufel.“

Einer der von ihm so sehr geliebten Zöglinge, die er – seiner gedanklichen Disposition nach – alle zum Herrn gebracht und teilweise auch zu Christus gemacht hat, durchaus auch in zärtlicher körperlicher Begegnung, ist nach Jahrzehnten an die Öffentlichkeit gegangen und hat damit auch die kirchliche Basis auf den Plan gerufen, wie dies überhaupt noch nie in der Geschichte der katholischen Kirche der Fall gewesen ist.

„Sie tragen nichts, die bischöflichen Eminenzen. Sie lassen mich hier sterben, abgestellt. Kriechend in Anbetracht der Begehrlichkeit von Laien! Von notorischen Kleingeister, denen das Evangelium seit Anbeginn eine Nummer zu groß ist. Die plötzlich eine Chance wittern, ihre Infantilität, ihren demokratischen Unsinn auszutoben, der die Hierarchie Gottes völlig verkennt. Plötzlich eine Rolle spielen. Plötzlich das System in Frage stellen, gar die Kirche selbst, die einzige und wahre Muttermacht! Wegen ein paar Knabenpopos. Macht und Gesetz der Mutter sind niemals relativierbar. Niemals!“

Zwischen seinen Verschwörungstheorien und den Tiraden gegen all jene, die der Mutter Kirche am Zeug flicken wollen – wovon er auch die höchsten Kirchenkreise nicht ausschließt -, verfällt er in den verzweifelten Erinnerungshunger desjenigen, der Liebe verteilt und erfahren hat.

„Aber lass mich vorher noch einmal in die Augen des Knaben sehen, der mich gefangen hält. In die Augen, die tief und rein sind wie das sinnende Wasser im Gebirge deiner Schöpfung. (…)

Ich spreche nicht von der Sünde, Herr. Ich spreche von ihrem Fingerabdruck. Einem Knabenpopo. Von Berührung, wie sie kostbarer nicht sein könnte. Verschmelzung. Der Leib Christi. Rettung von der Ursünde einer Hure.“

Das eigentliche Opfer, so sieht er es, ist er selbst.

„Es war nicht ich, der sie verführt hat. Es waren sie, die mich verführten. (Verzweifelt.)

Mit ihren Augen. Mit ihrem Augenaufschlag. Mit ihren Lippen. Mit der Ahnung von Flaum auf den Lippen. Mit den zart vibrierenden Nasenflügeln. Mit den brechenden, durch das Beichtstuhlgehölz abgedämpften Stimmen. Mit Kehlen voller Reinheit, deren eine einzige ganze Kirchenschiffe füllt und Gott in ihnen klingen lässt. Mit ihren Händen und Bewegungen! Selbst noch mit einem zarten Anflug von Schwarz unter den Fingernägeln. Die Geschöpfe eines ewig verliebten Gottes. Kein einziger wurde missbraucht, wir haben unserem verliebten Gott gehuldigt. In höchster Liebe!“

Die Welt aber verhält sich gnadenlos zu ihm und verkennt beharrlich seinen Auftrag, die Menschen Gott zuzuführen, auch über den Maßstab der körperlichen Gebundenheit. Am Ende scheint er zu resignieren, noch immer nicht fähig zu so etwas wie einem Schuldbekenntnis, das ihn retten könnte. Trotzig hält er an seinem Missionsplan, in dem Machtbedürfnis und Übergriff nicht voneinander zu unterscheiden sind, fest. Er entschließt sich, gestützt auf die Bibel, fortan überhaupt zu schweigen.

„Ich schweige. … Schon ist er weg, der falsche Ton. Schon sind sie weg, die Hühner. Schon hat die Stille das Kreischen der Huren geschluckt. Die Welt, die Hure. Der Lärm, die Hure. Babylon, das Computergeplärre, das meinen Liebsten unter sich zermalmt hat. Ich trauere um Dich, mein Emmanuel, du göttliches Kind. Ich bete zu Gott. Herr, du bist der Luxus in diesem Getümmel, der einzig wahre Luxus. Du schweigst. Ich schweige.

Dass ihr endlich schweigen wolltet. Das würde Weisheit für euch sein. (Hb 13,5)“

Zuletzt bleibt ihm nur noch die Zuflucht zu Maria, der Mutter Gottes – mit der er sich allerdings auf einer Stufe wähnt. Denn auch sie ist seiner lebenslangen Aufbauarbeit zufolge nichts anderes als ein Geschöpf Gottes, das zwar als Mutter des Gottessohnes Respekt und Liebe verdient, nicht aber mit Gott selbst gleichgestellt werden darf.

„Ich muss noch ein Buch schreiben. Ich bin zäher, als euch das lieb sein kann. Ein Buch über Maria im Geheimnis Jesu Christi. Ich werde euch die Reinheit meiner Liebe vor Augen führen. Niemand wird weiterhin behaupten können, ich hätte mich an Knabenpopos vergriffen aus fleischlicher Begierde. Ich war immer nur die Vermittlung. Wie Maria, die himmlische Jungfrau. Immer nur die Mittlerin. Maria und ich, wir wissen uns auf der Seite des wahren Gottes. Ich habe ihr eine Legion aufgebaut, meinen Dienst in ihren Dienst gestellt.“

kardinaelin03Bis zuletzt bleibt er trotzig,

„Sie haben es darauf abgesehen, mich hier umkommen zu lassen als gefallenen Engel. Als Weib!! Aber ich bin nicht das Weib! Ich bin die Frau! Die Herrin! Die Mutter Gottes! Das Gefäß, in dem Er, der Erlöser, wächst und gedeiht.“

um im letzten Atemzug zu resümieren:

„Wie ich bin, bin ich nur aus mir.

Ich danke mir. Der wahren Mutter Gottes.“

Holt mich hier raus. Bitte!

Als ich dieser Tage einen Brief der Wiener Sängerknaben an meinen heute dreiundzwanzigjährigen Sohn Daniel in der Post fand, fuhr mir in einem Anflug von Enttäuschung durch den Kopf: Und was ist mit mir? Bekomme ich keinen Brief? Ist mein Fall schon verjährt? Hat man mich aus den Archiven getilgt bei den Wiener Sängerknaben? Hat man mich trotz meiner seinerzeit glockengleichen Stimme vergessen in Wien im Augarten, wo man jetzt die hohen Platanen meiner Jugend wegrasiert hat? Oder ist man in Wien der Meinung, dass mein Fall gar kein Fall gewesen sei? Zugegeben, nicht jeder Internatszögling kann ein Fall sein. Die kaum der Rede werten Misshandlungen, die mir zugefügt worden sind, habe ich durch mein vorwitziges Temperament und meine Disziplinlosigkeiten evoziert, Max und Moritz in einem sozusagen war ich, der Turm in der Polsterschlacht, ein beflissener Beichtlügner um fünf Uhr früh, später als ausschweifender Aduleszent im „Mutantenheim“ ein gewissenhafter Bekenner epikuräischer Lebensweise . Sexuell ist auf mich nicht übergegriffen worden, dazu war ich schon typmäßig nicht geeignet, nicht zart genug, nicht zerbrechlich genug. Nach acht Jahren Knabenchor bleibt mir daher: Die zarte Verwirrung beim unvermeidlichen Blick ins Dekollete der Lisa della Casa, der „geilsten“ (die Bedeutung dieses Adjektiv hat sich bekanntlich seither wesentlich erweitert) aller Paminen meiner Drei-Knaben-Laufbahn und das wohlige Erahnen einer höheren, geheimnisvollen, völlig unmittelbaren, damals wie heute nicht wirklich benennbaren Wirklichkeit, das mich mit dem Klang der ersten Takte des Kyrie der e–Moll-Messe von Anton Bruckner am Sonntag in der Hofmusikkapelle erfasst hat.

Mein Sohn Daniel indessen schrieb dreissig Jahre später nach einem halben Jahr im Augarten immer wieder perpetuierend in sein Tagebuch: Wenn ihr mich noch lieb habt, holt mich hier raus. Bitte! Bitte!

Ach ja, was im besagten Schreiben stand? Ich hab es nicht gelesen. Tut uns leid, bitte nicht an die Presse gehen, so etwas in der Art wahrscheinlich, in meinem Fall daher sowieso gegenstandslos.

Gerhard Lehner

Spielplan

Gastspiel: Hosea Ratschiller - EIN NEUER MENSCH
9. April 2021 bis zum 10. April 2021

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